Impuls 29.04.2020 Menschenverachtung?

„Die Gefahr, uns in Menschenverachtung hineintreiben zu lassen, ist sehr groß. Wir wissen wohl, dass wir kein Recht dazu haben und dass wir dadurch in das unfruchtbarste Verhältnis zu den Menschen geraten. Folgende Gedanken können uns vor dieser Versuchung bewahren: mit der Menschenverachtung verfallen wir gerade dem Hauptfehler unserer Gegner. Wer einen Menschen verachtet, wird niemals etwas aus ihm machen können. Nichts von dem, was wir im anderen verachten, ist uns selbst ganz fremd. Wie oft erwarten wir von den anderen mehr, als wir selbst zu leisten willig sind. Warum haben wir bisher vom Menschen, seiner Versuchlichkeit und Schwäche so unnüchtern gedacht? Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen. Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen – gerade zu den Schwachen – ist Liebe, d.h. der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen.“

Aus „Widerstand und Ergebung“, Dietrich Bonhoeffer, hrsg. von Eberhard Bethge 1951

Impuls 27.04.2020 Gewaltverzicht

Matthäusevangelium 5, 38-39
Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

Diese Verse haben, seit dem Jesus sie gesprochen hat, Christen herausgefordert und oft auch überfordert. Ich gehe davon aus, dass Jesus sie so radikal meinte, wie sie damals wie heute klingen. Christsein im Sinne der Bergpredigt ist nichts für Weicheier.

Diese Bildergeschichte setzt ganz gut um, wie Martin Luther diese Worte Jesu interpretiert hat.

Lesegottesdienst am Sonntag Miserikordias Domini 26.04.2020

Lesegottesdienst Sonntag Miserikordias Domini 26042020

Wir feiern Gottesdienste im kleinen Rahmen am 26.04.2020:

9.00 Uhr in der Kirche Neukirch
10.30 Uhr in der St.-Nikolai-Kirche Schwepnitz

Es dürfen laut sächsischer Verordnung zur Zeit maximal 15 Gottesdienstteilnehmer gleichzeitig feiern.
Bitte bringen Sie einen Mundschutz mit und halten Sie den Mindestabstand von 1,5m ein.
Auf Gesang wird derzeit im Gottesdienst verzichtet, nicht aber auf Musik.

Impuls 25.04.2020 Die drei Siebe

Gerüchte und „Fake-News“ sind keine neue Erscheinung, sondern werden seit je her unbewusst oder auch ganz gezielt in die Welt gesetzt und weiter verbreiten. Einmal verbreitet, halten sich dann die abstrusesten Behauptungen und sind oft kaum mehr aus der Welt zu schaffen. Aber oft liegt es an uns selbst, zu entscheiden, was wir weitertragen möchten, wessen Botschafter wir sein wollen. Ein alter, aber zeitloser Vorschlag, geht auf den griechischen Philosophen Sokrates zurück, der nicht nur die Wahrheit und Notwenigkeit, sondern eben auch die Güte zum Maßstab macht. Darin finde ich mich auch als Christ wieder, mit dem jesuanischen Maßstab: Was dient der Liebe zwischen Gott, meinen Mitmenschen und mir selbst.

Eines Tages kam einer zu Sokrates und war voller Aufregung.
„He, Sokrates, hast du das gehört, was dein Freund getan hat? Das muss ich dir gleich erzählen.“
„Moment mal“, unterbrach ihn der Weise. „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“
„Drei Siebe?“ fragte der Andere voller Verwunderung.
„Ja, mein Lieber, drei Siebe. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht.
Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“
„Nein, ich hörte es irgendwo und . . .“
„So, so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“
Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil …“
„Aha!“ unterbrach Sokrates. „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich erregt?“
„Notwendig nun gerade nicht …“
„Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir das erzählen willst, weder erwiesenermaßen wahr, noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

Impuls 24.04.2020 Jesus, der Weinstock

Am Ende des 30jährigen Krieges (1648) veröffentlichte Heinrich Schütz diese Motette,
in der er Worte aus dem Johannesevangelium Kapitel 15 vertonte.

Ich bin ein rechter Weinstock, mein Vater ein Weingärtner.
Eine jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht bringet, wird er wegnehmen,
und einen jeglichen, der da Frucht bringet, wird er reinigen, dass er mehr Frucht bringe.
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Bleibet in mir und ich in euch.
Gleich wie der Reben kann keine Frucht bringen von ihm selber,
er bleibe denn am Weinstock,
also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir.

Impuls 22.04.2020 Wer bin ich

Wer bin ich

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten. 

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Dieses Gedicht hat Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis geschrieben,
kurz bevor er am 9. April 1945 von den Nationalsozialisten ermordet wurde.
(aus: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung)