Link zum Lied „Es kommt ein Schiff geladen“
https://www.youtube.com/watch?v=3tQb8pcj-aw
Gedanken zum Lied
Ein Bild zwischen Sehnsucht und Bangen
Ich habe ein Bild vor Augen. Ein Bild vergangener Jahrhunderte. Ohne Telefon, Internet und Whatsapp. Ein Mensch steht am Ufer des Meeres. Der Strand liegt im Abendlicht der untergehenden Sonne. Das weite Meer liegt spiegelglatt. Nur eine ganz sachte Brandung spielt in der Ruhe des Abends. Eine gespannte Ruhe. Die Augen des Menschen wandern. Suchen den Horizont ab. Sehnsüchtig. Suchen nach dem Umriss eines Schiffes. Tag für Tag geht dieser Mensch zum Strand. Wartet. Die Augen tasten den Horizont ab.
Der Mensch steht am Ufer des Meeres. In dieser Szene liegt viel Sehnsucht. Wie viele Menschen mögen einst die Ankunft eines Schiffes erwartet haben. Sehnsüchtig. Der Familienvater, der auf Post und Nachricht seiner ausgewanderten Kinder wartet. Die Frau, die ihren Geliebten von See zurückerwartet. Bangend, hoffend. Der Kaufmann, der auf die kostbare Fracht wartet. Getreide, Hölzer, Gewürze. So kostbar, dass sein Auskommen von der Wiederkunft des Schiffes abhängt. Der Neugierige, der selber hofft, einst über den Horizont hinaus zu gelangen.
Ein Schiff. Ein Symbol für Sehnsucht. Teure Fracht trägt es. Es transportiert Botschaften zwischen Kontinenten und Welten. Ein Botschafter aus einer anderen Welt. Jenseits des Horizonts. In diesem Bild liegt aber auch eine große Spannung. Das Meer ist auch ein unheimliches Terrain. Fremd und gefährlich. Die Seeleute erzählen von gefürchteten Stürmen, brutalen Seeräubern und Ungeheuern aus der Tiefe des Meeres. Die alten Israeliten vermuteten am Grunde des Meeres den Eingang zur Totenwelt. Nur die robusten Planken des Schiffes trennen den Seefahrer vom Tod. Es ist ein erlösender Moment, wenn dann die Segel des lang erwarteten Schiffes am Horizont auftauchen. Dann fallen die Sorgen ab. Und der Herzschlag beschleunigt sich.
Es kommt ein Schiff
Diese Bild greift ein bekanntes Adventslied auf:
1. Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein‘ höchsten Bord
trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.
Sehnsüchtig erwartet. Die rettende Fracht. Ein Sinnbild für die Begegnung zweier Welten. Meer und Land, Himmel und Erde, Gott und Mensch.
Das Schiff nähert sich dem Ufer. Die Gefahren der See verblassen bereits.
2. Das Schiff geht still im Triebe, es trägt eine teure Last;
Das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.
Dieses Schiff unterscheidet sich von vielen Schiffen. Die Gefahren der See haben die Schiffe wehrhaft gemacht. Kriegsschiffe, bis an die Zähne bewaffnet. Selbst Handelsschiffen sind oft bewaffnet, um Seeräuber abzuschrecken. Die Fracht dieses Schiffes ist kostbar. Vielleicht die kostbarste Fracht überhaupt. Und doch: Dieses Schiff ist unbewaffnet. Liebe ist das Segel. Der Heilige Geist der Mast. Wie ein starkes Kreuz hält es das Schiff aufrecht. Hält das Segel, die Liebe hoch.
3. Der Anker haft‘ auf Erden, da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.
Gott selbst ist an Bord. Jesus Christus. Die kostbarste Fracht für die Menschheit. Jesus, ist über die Todestiefen des Meeres zu uns gelangt, trägt Gottes Frieden in die Herzen der Menschen. Er ergreift Partei für uns Menschen. Er heilt und versöhnt. Er ermöglicht Leben über den Tod hinaus. Der uns die Brücke baut zu Gott, dem liebenden Gott. Eine rettende Fracht.
Das Lied erscheint mir manchmal wie aus weiter Ferne. Fremd und vertraut die Melodie, alt und geheimnisvoll die Worte. Jede Strophe zweigeteilt. Wie auf sanften Wogen schaukelt das Schiff im ersten Teil. Die Töne loten die Tiefe aus. In der zweiten Hälfte setzt der Reisende den Fuß aufs Land. Schreitet kräftig und fröhlich aus. Steigt mit der Melodie hinauf vom Hafen in die Stadt und kehrt wieder zurück zum tiefen Anfangston. In den Bauch des Schiffes.
Im Miteinander der Deutungshorizonte
Uralt ist das Lied vom Schiff. Es gehört zu den ältesten geistlichen Gesängen in unserer Sprache. Das Lied lässt mehrere Deutungen zu. Es ist als Marienlied gesungen worden. Maria, die Schwangere, ist wie ein Schiff. Sie trägt eine teure Last. Gott schickt das Allerkostbarste, das Beste, was er hat: Seinen Sohn. Seine Liebeserklärung an uns. Sein ewiges Wort. Was Gott sagt, ist verlässlich. Dieser Jesus Christus verkörpert die Wahrhaftigkeit von Gottes Zusagen.
In dem Schiff haben die Christen auch ein Bild für die Kirche gesehen. Für das Gebäude, in dem wir zusammenkommen. Und für die Gemeinschaft der Gemeinde, die mit Jesus unterwegs ist.
Aber auch die Seele jedes einzelnen Christen können wir als Schiff betrachten. Ruhig treibt es dahin. Wenn der Wind stark bläst, wird es schneller. Liebe ist das Segel. Sie fängt die Windkraft auf, damit wir Fahrt gewinnen. Die Liebe hält unser Lebensschiff in Gang. Liebe ist Bewegung, äußerlich und im Innern. Wir gehen auf den andern Menschen zu und mit ihm mit. Wir wollen wissen, was ihn bewegt, mit ihm lachen und trauern, zürnen und hoffen, wandern und ausruhen.
Vom Stall bis zum leeren Grab
In den Strophen 4-6, verlässt das Geschehen das Schiff. Gott wird greifbar:
4. Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren, gelobet muss es sein.
5. Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel.
6. danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.
Der Stall im Bethlehem kommt in den Blick. Und am Horizont erscheint auch – verschwommen noch – was auf dieses Kind zukommen wird: Der Weg nach Jerusalem. Das Kreuz, an dem dieses Kind sterben wird. Der brutale Spott der Menschen. Das Grab in das dieses Kind hineingelegt
werden wird. Dann das leere Grab. Die Auferstehung. Der Triumpf des Lebens. Wer sich an dieses Kind hält, geht diesen Weg mit.
Uralt, schwer und kostbar
Uralt ist das Lied vom Schiff. In jeder Strophe erst ruhige Wellenbewegungen, dann das mutige Ausschreiten im zweiten Teil der Strophe. Ein tiefer Anfangston. Am Schluss kehrt es zu ihm zurück, zurück in den Bauch des Schiffes. Es ist kein leichtes Lied. Ein Schwere liegt dem Lied zugrunde. Es kennt die Gefahren der See. Es weiß, was auf Jesus zukommt. Es weiß auch um die Kostbarkeit dieser Geschehnisse. Ehrfürchtig nähert es sich den Geschehnissen. Ahnt das Heilige. Das Geheimnis von Weihnachten. Gott kommt. Ganz klein. Unendlich. Wird einer von uns. Wirbt. Leidet. Stirbt. Rettet uns alle. Vorsichtig nähert sich das Lied dem heiligen Geschehen.
Es kommt ein Schiff, geladen. Es trägt eine teure Last.
Amen.